Wenn man Todesanzeigen anschaut oder in Nachrufen liest, findet man viele Verse und Sprüche, die versuchen den Schmerz der Trauernden auszudrücken oder den erlittenen Verlust deutlich zu machen. Ich habe keinen Vers gefunden, der gepasst hätte. „Wer die Verstorbene kannte, weiß was wir verloren haben“. Das, zum Beispiel, wäre mir zu einfach, zu platt gewesen.
Wir haben einen großen Verlust erlitten. Ein großartiger Mensch, eine besondere Persönlichkeit, eine starke Frau, eine überzeugte und überzeugende Christin wurde in Gottes Reich gerufen. Der Tod von Schwester Irmlinde bedeutet bei uns im Kinderheim, in der Einrichtung St. Raphael insgesamt, einen riesigen Verlust. Mit Schwester Irmlinde haben wir eine Frau verloren, die stark wie ein Fels war. Ein Vorbild an innerer Überzeugung und Überzeugungskraft. Wenn sie etwas in ihr Herz geschlossen hatte, dann verstand sie es, dafür zu kämpfen und einzutreten. Sie ließ sich nicht gleich in die Irre führen und war beständig. Und auch, wenn sie sich in diesen Momenten angreifbar machte, streitbar wurde, so war sie dennoch nicht stur oder unbelehrbar. Diese Stärke gab uns allen viel Sicherheit und Orientierung.
Wir haben ein echtes Original verloren. Sie war aus-gestattet mit der Gabe pfiffige Antworten zu geben, Deutungen, Auslegungen originell vorzutragen und damit Spannung herauszunehmen. Und wenn alle schmunzelten und amüsiert waren, kam meist ein tiefgründiger Nachsatz, mit hoher Intensität, der die Menschen mitten am Herzen erreichte. Diese Weisheit hat uns viel geholfen.
Wir haben eine Frau der Tat verloren. Sie war immer bereit anzupacken. Sie war sich für nichts zu gut. Und vor allem: Sie hatte die Gabe den ersten Schritt wagen zu können. Schwester Irmlinde war bereit anzufangen, den ersten Schritt zu tun, ohne sich gleich darüber zu sorgen, wie der 5. Schritt dann klappen wird.
Sie gehörte nicht zu den Menschen die ständig sorgen und ständig planen und schließlich nie zur Tat schreiten. Bevor sie sich einen unüberwindbaren Berg von Problemen ausmalte, war sie bereit den ersten Schritt mutig zu wagen und im Gottvertrauen die nächsten Schritte zu tun. Dabei war sie aber nicht kopflos oder leichtsinnig. Schwester Irmlinde wusste worauf es ankam.
Wir haben einen fortschrittlichen, offenen und flexiblen Menschen verloren: Schwester Irmlinde konnte sich auf neue Entwicklungen einlassen. Sie war bereit von neuen Wegen zu lernen und alle neuen Gedanken auf ihre guten Seiten hin zu prüfen. Und da war sie bei den jungen Menschen am richtigen Platz. Das ist auch angekommen. Schwester Irmlinde hat sich neuen Wegen gegenüber nie verschlossen. So scheute sie sich auch nicht davor in den letzten beiden Jahren mit dem „computern“ anzufangen. Und schnell war sie im Internet zu Hause. Und schließlich wünschte sie sich einen Labtop und nicht nur einen ganz normalen PC. „Und wenn ich etwas jünger wäre: Ich würde diesen Gameboy und dieses „Playstation – Zeugs“ auch ausprobieren“. Schwester Irmlinde war offen.
Wir haben einen Menschen verloren, der auf das Wesentliche geschaut hat. Und das Wesentliche war für sie, dass die Kinder sich ernst genommen fühlen, dass sie sich angenommen fühlen und dass sie liebevolle Orientierung bekommen. Es ging ihr immer darum, das Gute im Menschen aufzubauen und zu stärken. Weniger darum, das Böse zu bestrafen.
Aufbauen und stark machen. Annehmen und durchtragen. Gütig sein. Unverdiente Gnade verschenken. So hat Schwester Irmlinde viele Kinder erreicht und vorwärts gebracht. Schwester Irmlinde war parteilich für die schwierigen Kinder.
Wir haben einen Menschen verloren, der immer bereit war, Dienst zu tun. „Wenn ein Kind in Not ist, müssen wir bereit sein. Und wenn schon drei Notaufnahmen da sind, wir finden auch Platz für das vierte Bett. Dafür sind wir da“.
Sie hat selbst alles hergegeben. Und so war sie immer bereit. „Wenn der liebe Gott mich braucht, dann tue ich was er will“.
Sie war mit Zuversicht, Gottvertrauen und Hoffnung gesegnet. „Der liebe Gott gibt mir viele gute Menschen an die Seite, die mir helfen das zu tun, was er will“. Schwester Irmlinde war seine Dienerin.
Ich habe über zwanzig Jahre mit Schwester Irmlinde zusammengearbeitet. Wir waren in verschiedenen Konstellationen gemeinsam am Werk. Und es hat immer geklappt. Und ich habe unheimlich viel von ihr gelernt und erfahren. Als der Stiftungsrat auf Vorschlag von Schwester Irmlinde Anfang 2005 ihr Amt in meine Hände legte, und sie ins zweite Glied rückte, war das eine große Auszeichnung für mich. Und auch diese Konstellation hat gut geklappt. Schwester Irmlinde hat loslassen können, Vertrauen schenken können. Ihr Nachfolger zu sein und ihr Werk weiterzuführen ist eine große Ehre. Schwester Irmlinde war für mich und für viele andere Mitarbeiter immer eine Art Mentorin. Oder auch ein so genannter Coach, lange bevor dieser Begriff modern wurde. Ich bin ihr persönlich zu tiefem Dank verpflichtet.
Und ich denke, ich spreche im Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter:
Wir sind alle dankbar, dass wir sie gehabt haben. Sie hat aus einer kleinen Einrichtung mit 9 Mitarbeiterinnen einen Betrieb entwickelt, der 55 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Von ehemals 36 Heimplätzen entwickelte sich St. Raphael zu einer Institution mit fast 100 betreuten jungen Menschen.
Vom alleinigen Standort Unterdeufstetten aus wurden die Hilfeangebote über den ganzen Landkreis verzweigt. Ihrem unermüdlichen Wirken verdanken wir es, dass St. Raphael heute so gut da steht. Und vor allem, dass so vielen Kindern qualifiziert geholfen werden kann, ohne dass sie unheimlich weit von zu Hause weg müssen.
Wir sind dankbar für 117 Jahre, die die Vinzentinerinnen mit unseren Kindern gegangen sind. Am Ende des Jahres 2006 haben uns die Schwestern alle verlassen.
Wir wollten den Abschied fröhlich miteinander feiern.
Durch den plötzlichen Tod von Schwester Irmlinde bekam dieser Abschied ein ganz anderes Gesicht. Heute verstehen wir es noch nicht. Aber ihrem Vorbild getreu nehmen wir Gottes Ent-scheidung an. Wir sind sehr traurig. Aber wir wissen auch, dass das Schönste erst noch kommt. Schwester Irmlinde ist uns vorausgegangen. Sie weiß jetzt alles. Unser Glaube sagt, dass wir uns im Reich Gottes wieder sehen werden.
Was bleibt, ist die Dankbarkeit, dass wir sie ge-habt haben. Und das ist dann doch einer dieser Verse, die bei Beerdigungen häufig gesagt werden. Und so habe ich doch einen Satz gefunden der passt: Wir sind zutiefst dankbar, dass wir sie gehabt haben.
Herr schenke ihr die ewige Ruhe und das ewige Licht leuchte ihr. Herr lass sie ruhen in Frieden. Amen.